Ulrike Buhl
Frank Gillich
Ulrike Buhl und Frank Gillich
Clash
Skulptur
1.11.2020 – 28.2.2021
Video Künstlergespräch mit Ulrike Buhl und Frank Gillich
Ulrike Buhl
Das Mysterium des ewigen Werdens und Wandelns Gedanken zu den aktuellen Arbeiten von Ulrike Buhl Panta rhei. Nach der Heraklitischen Lehre ist alles im Fluss und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln. Dasselbe könnte man in Bezug auf die eigenwilligen plastischen Arbeiten von Ulrike Buhl behaupten, die von einer organischen – oder vielmehr biomorphen – Formensprache geprägt sind. Es sind Gebilde und Gestalten, die scheinbar aus sich selbst heraus entstehen. Es handelt sich hierbei um eine Art Orthogenese, bei der die Plastiken offenbar eine innere Tendenz besitzen, sich organisch immer weiterzuentwickeln, da sie von einer mysteriösen inneren Triebkraft gesteuert werden. Hierbei geht es nicht um eine evolutionäre Entwicklung, sondern um einen offensichtlich schlagartig einsetzenden Prozess. Man stellt sich vor, wie sich ein erneuter »Big Bang« en miniature immer wieder im Atelier der Künstlerin ereignet – ein wirbelnder Mahlstrom oder gar eine Implosion, die nicht zur Zerstörung, sondern zur Schöpfung führt. Doch der Entstehungsprozess scheint noch nicht vollendet zu sein. Vielmehr sehen wir eine Art Zwischenstand – als ob die Metamorphose noch voll im Gange wäre. Das »Werden« – vielmehr als das »Sein« – spielt also eine herausragende Rolle. Buhls Plastiken sind noch im Begriff zu werden und stellen daher eine kontinuier liche Metamorphose dar.
Durch das Werden entsteht eine innere Dynamik – oder vielleicht auch umgekehrt. Und doch sind Ulrike Buhls Plastiken tatsächlich statisch, machen aber den Eindruck, als würden sie vibrieren bzw. pulsieren. Sie scheinen förmlich zu atmen. Eine scheinbare Magie der Formgebung, die durch viele Rundungen bestimmt wird. Der Kreis, die Sphäre und andere gerundete, geschwungene Formen implizieren Bewegung und symbolisieren gleichzeitig den unendlichen Kreislauf der Natur. Ob wir es hier aber mit einem Mikro oder Makrokosmos zu tun haben, bleibt völlig offen. So wirken Buhls Plastiken gelegentlich wie Modelle, sowohl im buchstäblichen als auch im über tragenen Sinne. Denn sie sind auch modellhaft im Sinne eines neuartigen künstlerischen Umgangs mit der Natur und den Naturphänomenen. Buhls Plastiken sind nicht abstrakt – sie finden ihren Ausgang nicht, wie man vielleicht vermuten würde, in der Natur, bilden die Natur nicht ab, genauso wenig wie sie die Natur verfremden. Im Gegenteil. Vielmehr stellen sie eine Art Kosmogonie dar – ein Erklärungsmodell zur Entstehung und Entwicklung der Welt – sowie eine Hypothese darüber, wie die Natur der zukünftigen Welt aussehen könnte; eine Natur, die vermehrt und verstärkt von Menschen manipuliert, verändert und bestimmt wird.
Zusätzliche Dynamik entsteht durch Buhls Verwendung von Effektlack, der eine eigenwillige optische Wirkung erzeugt ( es ist sicherlich kein Zufall, dass Effektlack vorwiegend in der Autoindustrie Verwendung findet – dort also, wo es häufig auf Geschwindigkeit und Dynamik ankommt, wo die Zukunft wichtiger ist als die Gegenwart). Die spiegelnden, glitzernden Oberflächen reflektieren das Licht und teilweise auch ihre Umgebung. Für den Betrachter scheint sich die Farbigkeit je nach seinem eigenen Standpunkt kontinuierlich zu verändern. Durch den Speziallack scheinen die biomorphen Gebilde zu fließen und sich ständig zu wandeln. Doch paradoxer weise setzen sich Buhls Werke gleichzeitig durch den Effektlack vom Organischen ab, denn auch wenn sie hier und da in der Natur vorkommt – beispielsweise bei bestimmten Gattungen von Schmetterlingen und Käfern, aber auch bei manchen exotischen Fischen –, weckt die metallisch schimmernde Farbigkeit im Zusammenklang mit der Formgebung eher Assoziationen zu Hightech und ScienceFiction. Wenn sie überhaupt von dieser Erde sind, dann handelt es sich um eine zukünftige Erde, die noch nicht als solche existiert. Auch sie ist also noch im Werden.
Gelegentlich wirken die glitzernden Oberflächen der Plastiken von Ulrike Buhl brüchig – wenn die Oberflächen nicht so fließend anmuten würden, könnte man fast meinen, sie wären spröde. Durch diese »Makel« in den sonst so perfekten Oberflächen wird der prozesshafte Charakter der Werke weiter betont. Risse, Spalten und Lücken sind vielleicht als Zeugnisse der noch stattfindenden Metamorphose der künstlichen Geschöpfe zu verstehen; so also ob sie im Begriff wären, sich zu häuten. Sie scheinen förmlich aus sich selbst heraus zu platzen.
Alles ist im Fluss – und doch bleibt etwas. Es sind die ihnen innewohnenden Widersprüche, die Buhls Plastiken so überaus faszinierend machen. Mikrokosmos und Makrokosmos, Kunst und Wissenschaft bzw. Technologie, Urwesen und Kreaturen aus der entfernten Zukunft, halb Organismus und halb Hightech. Sie befinden sich in einem unaufhörlichen Zustand des Werdens, und doch sind sie vollendet. Aber genau das macht sie aus – und genau das bestätigt ihre enge Verwandtschaft mit der Heraklitischen Lehre, die eine Einheit aller Dinge – also auch der Widersprüche und des Unerklärlichen – postuliert. Aus allem eins und aus einem alles. Man darf auf die weitere Entwicklung der Buhlschen Kosmogonie gespannt sein.
© 2017 Gérard A. Goodrow, freier Kurator und Autor, Köln
Frank Gillich
Eröffnungsrede
Als Pablo Picasso 1940 erstmals die Höhlen von Lascaux betrat, soll er geäußert haben: „Wir haben nichts dazugelernt“. Ein, wie ich finde, ziemlich kluger Satz über KünstlerInnen, die wir nie kennengelernt haben.
Heute, Jahrzehnte später, stehen wir hier an einem anderen Ort und in einer völlig anderen Zeit. Die Künstlerin und der Künstler, die hier ausstellen, sind vielen von uns persönlich gut bekannt, sie arbeiten in einem uns bekannten künstlerischen Medium.
Wenn wir aber heute hier zum ersten Mal diese Räume betreten, wie wird unsere Reaktion sein? Was können wir hier für uns mitnehmen? Mir geht es in Ausstellungen fast immer so, dass ich, beinahe schon automatisch, alles immer sofort in mein bekanntes Wissen einordne: Diese Arbeit erinnert mich an Künstler X oder y ; jene Arbeit erinnert mich an diese Ausstellung usw. usw.
Ich gebe zu: diese Wahrnehmung ist natürlich ziemlich eingeschränkt und für die beteiligten Künstler natürlich eigentlich eine Zumutung. Auch wenn man als Künstlerin oder Künstler Vorbilder nie ganz ausschließen kann und man sich immer an Traditionen abarbeitet. Aber natürlich gilt auch: als Künstlerin oder Künstler will man doch immer seine eigene Frau oder sein eigener Herr im Hause sein.
Die Frage, die ich mir natürlich auch hier stelle, kann so lauten: Was erwarte ich eigentlich, wenn ich eine Ausstellung besuche? Will ich oder muss ich unbedingt etwas Spektakuläres, Exklusives oder Neues sehen? Will ich also, wie Picasso 1940, unbedingt etwas Neues hinzulernen?
Wenn es darauf hinausläuft, dass ich ich hier womöglich sehr provokante Ideen oder etwa digitale Kunst entdecken will, werde ich vielleicht enttäuscht sein. Wenn ich aber erfahren will, dass Kunst auch mehr vermitteln kann als bloß ewig Neues kennenzulernen, kann ich in dieser Ausstellung vielleicht eigene Entdeckungen machen. Überraschend kann manchmal sein, dass man beobachtet, wie die hier gezeigten Werke alte Traditionen aufnehmen und diese leicht verändert formuliert werden. Lernen heißt also auch: sich etwas Unbekanntes bewusst zu machen.
Aber wer weiß, vielleicht ist der Satz von Picasso ja auch falsch: immer haben Menschen etwas dazugelernt – oder noch besser: sie haben gerade heute viel gelernt, aber leider auch vieles, was früher einmal Bestand hatte, ebenso schnell wieder vergessen. Und vielleicht wird uns diese Ausstellung ja zeigen, dass hier nicht alles krampfhaft neu sein will. Man möchte aber zumindest gerne einen ersten Zugang zu dem finden, dem man hier begegnet.
Nun zu dem, was wir hier sehen und was uns unter dem Titel CLASH präsentiert wird. Ein Clash als Ausstellungstitel – übersetzt mit Zusammenprall – ist vielsagend. Als Wortmarke finde ich den Begriff sprachlich gelungen, wäre ich im Marketingbereich tätig, würde ich sogar behaupten: der Begriff ist durchaus sexy und animiert uns zu eigenständigem Weiterassoziieren. Begriffe, die uns spiegeln, dass wir Betrachter mehr sind als bloße Konsumenten, finde ich immer gelungen. Ein Clash impliziert natürlich immer auch die Vorstellung eines Zusammenpralls von zwei sehr unterschiedlichen Welten.
Und das ist wohl doch klar: die teilweise minimalistischen, scheinbar funktional erscheinenden Varianten von Frank Gillich unterscheiden sich durchaus von der hybriden Welt der Artefakte Ulrike Buhls. Vielleicht könnte man hier eine erste Unterscheidung ansetzen und sagen: Das, was Frank Gillich uns auf den ersten Blick nicht verrät (nämlich seine Methode eines langsamen und in keiner Weise spektakulären Herantastens) wird bei Ulrike Buhl in deutlich offensiverer Weise vorgetragen. So unterschiedliche Temperamente hier einerseits am Werk sind, so besitzen sie doch eine Gemeinsamkeit: sie verlassen nicht den Raum anerkannter Kunst und verhalten sich im besten Sinne des Wortes autonom und beharren auf Eigenständigkeit.
Ulkrike Buhls zum Teil stark farbigen, häufig glänzenden Skulpturen wirken nicht selten wie pulsierende, nach Außen gestülpte Innenwelten. Wären es Lebewesen, würde man mit ihnen vielleicht gerne ins Gespräch kommen; ihre Arbeiten sind in gewisser Weise spielerisch oder sollte ich sagen: anmutig ? Im Gegensatz zu Frank Gillichs Arbeiten stellen ihre Skulpturen eine unmittelbare Nähe, ja sogar einen starken sinnlichen, farbigen Reiz zu uns her. Fast könnte man sagen, sie sind in ihrer Ausdrucksweise von sich selbst so begeistert, dass man sie gerne in den eigenen Wohnräumen aufstellen möchte. Man möchte sich mit ihnen näher beschäftigen, auch wenn sie wie jedes Kunstwerk nicht völlig durchschaubar wirken.
Aufschlussreich sind die lackierten Oberflächen ihrer Gebilde, die uns einerseits wie fremde hybride Körper erscheinen und andererseits etwas in sich Geschlossenes bewahren, so als wollten sie ihre Botschaft oder gar ihr Geheimnis nicht preisgeben. Ulrike Buhl kommentiert ihr künstlerisches Credo mit diesen Worten: Farben und Formen müssen irgendwie einen Klang erzeugen. Der muss nicht schön sein, kann auch disharmonisch sein, aber mit dem Lack erreiche ich gleichzeitig auch mehr als einen Klang, der von meiner Persönlichkeit auf etwas Überpersönliches verweist.
Auch Frank Gillich bezieht sich interessanterweise gedanklich auf Musik; er vergleicht seine Werkserien, wie er selbst sagt, mit kammermusikalischen Aufführungen: im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht die Variation von Ausgangsformen, die er teilweise exzessiv immer wieder neu durcharbeitet, bis er selbst innehält und einen Sprung in eine neue Qualität registriert. In den letzten Jahren sind Gillichs Arbeiten deutlich körperorientierter angelegt worden. Seine Zeichnungen der Serie Mindfalk etwa oszillieren zwischen körpermotrischer Eigenbewegung und einer sich dadurch gerade bildenden autonomen Form. Das jeweils überraschend sich bildende Dazwischen ist Gillich wichtiger als das Finden einer finalen Form. Was sich bei Frank Gillich einstellt, ist wohl auch das Erstaunen darüber, dass ihm plötzlich immer wieder Abweichendes gelingt.
Etwas abstrakter könnte man also sagen: Ulrike Buhls Arbeiten leben in und mit einer sinnlich glänzenden Nähe, einer sinnlichen Lust an biomorphen Formen; Frank Gillichs Werke sind mit einer gewissen vorsichtigen Distanz zur Welt gekommen.
An dieser Unterscheidung merken sie, was mich hier – sozusagen als ein Dritter im Bunde – auch interessiert: je mehr ich versuche, Gegensätzliches zu unterscheiden, desto einleuchtender kann es auch sein, innerhalb von getroffene Unterscheidungen auch innere Ähnlichkeiten zu erkennen. Ich kann den Clash also auch als ein gegenseitiges Kennenlernen verstehen – sozusagen ein Get together (was übrigens auch ein schöner Titel gewesen wäre). Vielleicht liegt eine Gemeinsamkeit zwischen Ulrike Buhl und Frank Gillich an ihrem Interesse von Varianten, also Prozessen, die im freien Spiel der Kräfte entstehen. Je mehr Varianten und Unterschiede wir dabei als BetrachterInnen sehen, desto mehr können wir uns auch hinzudenken.
Je mehr beispielsweise wir den Glanz und Farbigkeit auf uns wirken lassen, desto fremdartiger können uns Ulrike Buhls Figurationen erscheinen: wie kleine Meteoriten, die aus der Reise in eine ferne Welt hier gelandet sind; und umgekehrt auch bei Frank Gillich: je länger und je näher man sich nur mit einzelnen Werken beschäftigt, desto intimer wird die vermeintliche Distanz, die wir auf den ersten Blick wahrgenommen haben. Das Schöne an dieser Ausstellung ist, dass sie gerade in ihrem jeweiligen Zusammenspiel aber auch in ihrer gegenseitigen Unterscheidbarkeit etwas von einer geistigen Unabhängigkeit spiegelt. Wir können beide künstlerischen Welten aufeinander beziehen u n d gleichzeitig auf Unterscheidungen achten, die uns überraschende Resonanzen vermitteln. Wir sind dabei frei in unserem eigene Urteil, weil die Maßstäbe, die wir zur Wahrnehmung von Kunst benötigen, nur von uns selbst hervorgebracht werden können. Diese Einführung in eine Ausstellung ist nur so wahr, wie sie versucht, den Werken durch Unterscheidungen gerecht zu werden, die sich selbst genügen. Ob das geglückt ist, können letzten Endes nur sie für sich selbst entscheiden. Ich habe nur mit relativ wenigen Unterscheidungen unterschieden, was m i r aufgefallen ist.
Und nun kommen Sie ….
Dr. Michael Kröger
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